Rede zur ersten Luisenfeier unseres Luisen-Grymnasiums im Jahr 1893

von Dr. Johann Karstens

Der Monat Martius behauptete in grauer Urzeit des Römerstaates die vorderste Stelle im Jahreskreise. Fast wäre mau versucht, in des Preußenstaates neuerer Geschichte einen Vorrang wenigstens demselben Jahreszwölftel einzuräumen, wenn man den Reichtum schicksalsschwerer Tage ins Auge faßt, der in ihm beschlossen liegt, solcher sowohl, die an wuchtige Ereignisse, als solcher, die an schicksalbedeutende Persönlichkeiten die Erinnerung in unsern Herzen heraufbeschwören. Ging nicht, um nur die letztgenannte Seite zu betonen, in diesem Frühlingsmond am vaterländischen Himmel ein Doppelgestirn uns auf, zwei Sterne erster Größe, die nun dort unverrückbar mit hellem, mildem Glanz zu uns herniederschimmern und uns in guten, wie in bösen Tagen, bei glücklicher, wie bei unglücklicher Fahrt die rechten Pfade weisen werden? Am 22. erschien der eine uns, der Hohenzollerfürst, der den Jahrhunderte drohenden Feind im Westen zurückwarf und den weit älteren Feind im Innern, den Geist des Haders und der Spaltungslust, siegreich zum Schweigen brachte. War lange glückliche Jahre hindurch der 22. ein Jubeltag der deutschen Stämme, ja aller Deutschen, die irgendwo auf weiter Erde die Gottesluft atmeten, was erlebt zu haben uns allen eine sonnige Erinnerung für unser ganzes Leben bleiben sollte; ein um so schmerzlicherer Trauertag ward uns der 9. März, an dem uns genommen wurde, was uns vordem beglückte. Die Zeit heilt alle Wunden, so tröstet ein Menschenwort, das aus der Beschränktheit menschlichen Fühlens und Erinnerns Beschwichtigung abzuleiten sucht. Allein, wir wissen es, die Narbe bleibt, und so gedachten wir, wie alle Jahre, auch gestern, wo zum vierten Mal der Tag uns wiederkehrte, mit stiller Wehmut dessen, der so lange den vielfältigen Geschossen des Todes getrotzt hatte, hierin vergleichbar jener Gestalt der nordisch-germanischen Sage, von der es hieß: "Er ist der beste und wird von allen gelobt." Und wenn wir nun über den Urgrund solchen Wesens, auf dem jener seelengewinnende Zauber gedeihen konnte, uns klar zu werden suchen, so giebt ein gut Teil der Antwort auf unser Fragen uns der heutige Tag, der Märzentag, an dem die Mutter des Betrauerten den Preußen, den Deutschen geschenkt ward.

Denn haben so oft bedeutungsvolle Männer gerührt und dankbar anerkannt, daß sie das beste, was in ihren Tiefen schlummerte, der Mutter verdanken, so wird iu unserm Fall fürwahr dasselbe sich bestätigt finden. Der Mutter Segen hat dem Sohne geheimnisvoll mächtig an dem stattlichen Hause bauen helfen, das er aufgerichtet hat, und schöner, als sie hoffte und verstand, ist ihr bescheiden stolzes Wort in Erfüllung gegangen. "Die Nachwelt wird mich nicht zu den berühmten Frauen zählen, aber möge sie von mir sagen: Sie duldete viel, sie harrte aus im Dulden, und sie gab Kindern das Dasein, welche besserer Zeiten würdig waren, sie herbeizuführen gestrebt und endlich sie errungen haben." Ueber alles Hoffen und Verstehen ist es zur Wahrheit geworden nicht bloß in dem, was sie beansprucht, sondern auch in dem, was sie demutsvoll ablehnt. Wir alle wissen ja und fühlen ja, ein wie reiches Leben auch der Toten beschieden worden ist, wir wissen es aus der Geschichte, was ihre Gestalt in den Freiheitskriegen ihrem Volk, in seinem ganzen Leben ihrem Sohne gewesen, wir fühlen es mit unserm preußischen Herzen, wie unauflöslich sie mit dem Besten verwachsen ist, was unser Volk sein eigen nennt, wie unmöglich es wäre, diese Eine aus unserer Geschichte hinwegzudenken. Nicht selten wohl hat man die Königin Luise mit der Heldenjungfrau von Orleans verglichen; und andere wieder haben den Vergleich mit jener griechischen Jungfrau vorgezogen, die einst den Göttern zum Opfer mußte preisgegeben werden, damit die Ihrigen zum heiligen Kriege ausziehen konnten, um die griechische Ehre wieder einzulösen und schweres Unrecht zu sühnen. Doch aber wie dürftig erscheinen solche Zusammenstellungen und wie unfähig, alles das wiederzugeben, was wir beim Klange Ihres Namens fühlen! Sie ist weder einer Johanna noch ist sie einer Iphigenia, sie ist einzig sich selber vergleichbar, durch sich und gleichermaßen durch ihre Zeit ist sie ureigen zu dem geworden. Was sie war, was sie ist und was sie bleiben wird. Geworden — denn auch sie tritt nicht als eine fertige vor uns hin, sondern in den Wetterschauern unholder Geschicke ist sie erstarkt und gereift, und der Hammer der Not hat das enge Band geschmiedet, das sie für alle Zeiten mit ihrem Volk umschließen wird. Weil diesergestalt eben die Not es ist, die ihres Wesens Vollgehalt prägte und erkennen lehrte, darum können nun mit Fug und Recht diejenigen Orte eine hervorragende Bedeutung für ihr Leben in Anspruch nehmen, an denen sie eine so grausame Schule des Lebens durchleben mußte; deshalb eben wird auch Memel stets nicht an letzter Stelle genannt werden. Ist Memel doch die Stadt, wo die kundige Freundin, die nahezu 70 Jahre dem Königshause in Treuen diente, die Worte in ihr Tagebuch schrieb: Die arme Königin weint zu viel.

Wer hätte dem Kinde bei seiner Geburt vorausgesagt, daß es von Deutschlands Westen nach so fernem, fernstem Osten auf unbarmherziger Sturmfahrt verschlagen werden würde! Seinem Stamme nach gehörte es demselben Lande an, das unserm Vaterlande in den entscheidendsten Kriegen des Jahrhunderts die beiden wirksamsten Feldherrn geschenkt hat. Damals aber, im Jahre 1776, bekleidete der Vater, als ein jüngerer Prinz von Mecklenburg- Strelitz vorläufig von der Regierung ausgeschlossen, die oberste Befehlshaberstelle der hannoverschen Haustruppen, die ihm sein Schwager, der König Georg von England, übertragen hatte, der ja zugleich Kurfürst vou Hannover war. Auf diese Weise ist es geschehen, daß Luise in der freundlichen Welfenstadt das Licht unserer Welt erblickte. Ein äußerst anspruchsloses Heim diente den Eltern zum Aufenthalt, zum glücklichen Aufenthalt. Denn schon bei ihnen, wie später in so erquickender Weise auch bei der Tochter, scheint die, man möchte sagen bürgerliche Anschauung von Menschenglück Wurzel geschlagen zu haben, daß menschliches Glück nicht vom Schein nach außen abhängt, sondern durch die ernste tiefinnerliche Bemühung um Zufriedenheit bedingt wird. Als im Herbst von 1776 der Prinz zum Statthalter von Hannover befördert wurde, siedelte er mit seiner Familie für die Sommermonate fortan nach dem Herrenhauser Schlosse über, das jedem Besucher Hannovers mit seinen herrlichen Baumreihen, dem erfrischenden Grün seiner Beete, dem lauschigen Buschwerk wohlvertraut sein dürfte. Hier in diesem kleinen Sommerparadiese verflossen der Prinzessin die ersten, ungetrübten Kinderjahre, ihr, die selber dieses Edens würdigste Blume war; rühmen ja die Zeitgenossen, daß das Kind hold und schön wie eine Lilie erblühte, die sich im freundlichen Sonnenschein des ersten Frühlings entfaltet. Kaum 6 Jahre alt, doch alt genug, um den Verlust zu fassen, verlor sie die Mutter; mit 6 Waisen weinte der Vater am Sarge. Da auch die zweite Mutter, Schwester und Ebenbild der ersten, vom Tode hingerafft wurde, so faßte der Fürst den Entschluß, seine Stellung aufzugeben, um die Stadt verlassen zu können, wo ihm sein Heim verödet und das Glück seines Hauses zersprungen war. 1786 ward der Wohnsitz nach Darmstadt verlegt, damit die Kinder unter der sorgsamen Aufsicht der Großmutter erzogen würden. Hiermit beginnt denn der zweite Abschnitt in Luisens Kindheit, eine ungestörte Zeit harmloser Jugendseligkeit, überwacht von den treuen Augen derjenigen, die gewiß wie keine sonst geschaffen war, die Mutter zu ersetzen — soweit eine unersetzliche ersetzbar ist.

Dem Wunsche des Vaters gemäß beschloß dieselbe, den ihr Anvertrauten eine einfache und zweckmäßige Erziehung zu geben. Zum Beweise dessen wird erzählt, daß die Prinzessinnen ihre seidenen Schuhe selbst verfertigten. Durch derartige Gewöhnung ward die schlichte Einfachheit ausgebildet, die sie später befähigte, auch in eng gewordenen Verhältnissen nicht den äußeren Glanz des Fürstenstandes zu vermissen, auch in dem Kleinleben unserer Nordstadt sich ohne Flitter wohl zu fühlen.

Zur Erholung diente der Umgang mit der Natur; die Liebe zu ihr, die in den Gärten von Herrenhausen zuerst erwacht war, wurde weiter in Darmstadt genährt und gepflegt. Liegt auch die Stadt in einer Sandebene, so ist doch durch die Emsigkeit der Bewohner der Boden sorgfältig angebaut, und gewährt doch die Umgegend mit ihren ausgedehnten Buchenwäldern und dunklen, duftenden Fichtenbeständen offenen Gemütern alle Wonnen des deutschen Waldes. Ja, wie die Landschaft um die mittlere Leine im Süden von dem nördlichen Teil der Wesergebirge umrahmt wird, so ist dort die Ebene von den laubschüttelnden Höhen des Sagenreichen Odenwaldes südlich umsäumt, so fehlt auch dort nicht der blaue Duft des fernwinkenden deutschen Mittelgebirges. Diese Fähigkeit, in der Gottesnatur Erquickung, frische Nahrung, neues Blut zu suchen und zu finden, sie war ein zweiter Erziehungsschatz für das nachherige Leben der Prinzessin. Ihr verdankte sie die reinen Freuden in Paretz, ihr nicht weniger das Labsal, das in den herbsten Zeiten ihr Leib und Seele aufrecht hielt. Wer von uns weiß nicht, wie teuer und wertvoll die bekannten Punkte unseres eigenen Wohnortes und seiner Umgebung ihr gewesen sind, wie sie in dem von ihrer alten Freundin herzlich bewunderten Park von Althof oder in dem Schatten der Tauerlauker Eichen oder auf der Kahnfahrt unser von sanften Hügellinien begleitetes Flußthal hinunter das Stimmungsgleichgewicht ihres Innern wiederherzustellen liebte!

Daß daneben die Empfänglichkeit für die geistigen Schätze unserer Nation und fremder Völker geweckt wurde, darf an einem Hofe, wie es der darmstädtische war, nicht wunder nehmen. War ja dies der nämliche Hof, wo nach einer Sage Goethe einen Teil seines Tasso geschrieben, der nämliche Hof, wo der junge Schiller seinen Don Carlos vor den fürstlichen Damen vortrug, wo Herder und andere Berühmtheiten der Zeit vielfach gefeiert und gefördert wurden. Diese warme Begeisterung für alles, was die Menschheit Schönes geschaffen, ging auch auf Luisen über. In Zusammenhang damit ist die Erweckung des Lerntriebes zu nennen, der unbekümmert tagtäglich ein Steinchen zum andern trägt, der sich niemals seiner Einfalt schämt und unverdrossen lieber fragt als dumm bleibt. "Ich hasse entsetzlich die Dummheit", heißt es sehr deutlich in einem ihrer Briefe an den Kriegsrat Scheffner.

Was sie aber in ihrem späteren Leben als das schätzbarste Vermächtnis ihrer Jugend anerkannte, war, daß ihre Lehrer in jedem Zweige der Erziehung die ewigen Dinge sich zur Richtschnur nahmen. Denn solchem Unterricht, der nachdrücklich die über die Natur hinausweisenden Gedanken betonte und die Zufluchtswelt des Glaubens suchen lehrte, verdankte sie die unerschütterliche Frömmigkeit und Gottergebenheit, die ihr auch die niederschmetterndsten Prüfungen dereinst ertragen helfen sollte. Auf eine göttliche Vorsehung gründete sie ihre innere Ruhe; und im Vertrauen auf ein vollkommenstes Wesen spricht sie es in ihrem politischen Glaubensbekenntnis an ihren Vater aus, daß jederzeit ihre Zuversicht bleibe, es werde besser werden. Freilich wurde dieser Glaube nicht zu einem bequemen Ruhekissen, das bezeugen vor unsern Augen die Sprüche, die sie an jenes Bekenntnis anknüpft, und die diesem uusern Festsaal als Mahnworte aus der Höhe eingezeichnet sind: Es kann nur gut werden in der Welt durch die Guten — und darum: Sorgen wir nur dafür, daß wir mit jedem Tage reifer und besser werden!

Wir überzeugen uns leicht, wie die tiefsten, unzerstörbaren Grundlagen ihres Seins in dieser ihrer Jugend bereits festgelegt sind. Gesund und lieblich wie ihr Äußeres entfaltete sich auch die innere Entwicklung. Im ganzen Wesen ein fröhliches, frisches Kind und kein frühreifes, formenfertiges Prinzeßchen barg sie in sich alle die Eigenschaften und Tugenden, die, im Weiterleben wachsend, einst unser Volk beglücken sollten, als die Tugenden der Jungfrau ihre Vollendung fanden in den Tugenden der Frau, der Mutter, der Königin.

Es schwanden die Jahre, und es nahte der Abend in Frankfurt, an dem die Augen des Kronprinzen von Preußen die mit ihrer Großmutter zu Besuch erschienene zum ersten Male erschauten uud in ihren Augen die wahlverwandte Seele fanden. Der erste Blick war auch hier entscheidend für das Schicksal beider jugendlicher Fürstenkinder. Habe mal, äußerte später der König nach dem Tode seiner Unvergeßlichen, da er sich bereits soweit beherrschen konnte, um mit Ruhe von ihr zu sprechen, über diese wunderbare wechselseitige Sympathie, in welcher verwandte Herzen sich gleich beim ersten Blicke begegnen und finden, etwas sehr Schönes in Schillers Schriften gelesen, wo treffend und wahr bezeichnet ist, wie mir und meiner seligen Luise zu Mute war, als wir uns zum ersten Male sahen, und wie wir uns nachher oft bekannt haben. Es war keine verliebte Sentimentalität, sondern ein bestimmtes, klares Bewußtsein, was gleichzeitig im Lichtblicke Ihre und meine Augen mit einer Freudenthräne netzte. Weiß wohl, solche sympathischen Gefühle sind die schönen Blüten der ersten jugendlichen Liebe, sind nur einmal da und kommen nachher in dieser Reinheit nicht wieder. Aber gerne denke ich daran zurück .... Gemeint sind die Worte, mit denen Don Cesar seiner Mutter uud seinem Bruder den überwältigenden Eindruck wiedergibt, den der erste Anblick der Geliebten auf ihn hervorbrachte. Ist einerseits wohl nie von einem Dichter schwungvoller und treffender jenes einzige Gefühl der Menschenbrust besungen worden, so möchte man andererseits sich versichert halten, daß nie das Zutreffende dieser Verse eine so überzeugende Bestätigung und Auslegung gefunden hat wie in diesen Worten des schlichten, wortschüchternen Königs Friedrich Wilhelm.

Noch nicht 13 Jahre zählte die liebliche Braut, als sie am Weihnachtsabend 1793 mit dem Kronprinzen von Preußen fürs Erdenleben verbunden ward, noch nicht 22 zählte sie, als im November 1797 aus der Kronprinzessin eine Königin von Preußen wurde. Unter so hoffnungsvollen Zeichen der schöne Bund begonnen war, mit ebenso treuer Dauer hat er bestanden, bis zu dem Augenblick, da ein höherer Wille ihn löste. Durch ihn war dem hohen Paare ein gesicherter Hafen gewonnen, in den es auch bei den tobendsten Stürmen sich rettete, in dem auf festem Grunde der Anker innerer Beglückung ruhte, die ihm kein Weltbezwinger streitig machen durfte. Immer entschiedener ging die romantische Neigung der Jugend in eine gegenseitige auf schönste Erfahrung begründete Wertschätzung über, wie sie sich etwa in einem Briefe der Königin nach l6jähriger Ehe ausspricht: Bis zu Thränen rührt mich seine Güte. Es ist mein Stolz, meine Freude und mein Glück, die Liebe und Zufriedenheit des besten Mannes zu besitzen, und weil ich ihn von Herzen wieder liebe und wir so mit einander eins sind, daß der Wille des einen auch der Wille des andern ist, wird es mir leicht, das glückliche Einverständnis, welches mit den Jahren inniger geworden ist, zu erhalten. Mit einem Wort: Er gefällt mir in allen Stücken, und ich gefalle ihm, und uns ist am wohlsten, wenn wir zusammen sind. .... Weithin warf ein solches, wieder drängt sich das Wort auf die Zunge, bürgerlich inniges Eheleben seinen reinen, wohlthuenden Glanz über alles preußische Land. Das königstreue Volk empfand in seinem Herzen wieder die Wohlthat, mit Verehrung und Stolz zum Königshause aufblicken zu können. Was Wunder, daß selbst namhafte Dichter, wie Novalis und Schlegel, nicht müde wurden, ihre wohllautenden Huldigungen vor dem Throne niederzulegen, wie sie gekennzeichnet werden mögen durch folgende Lobpreisungen des erstgenannten: Die Königin hat zwar keinen politischen, aber einen häuslichen Wirkungskreis. Ihr Beispiel wird unendlich viel wirken. Die glücklichen Ehen werden immer häufiger und die Häuslichkeit mehr als modern werden. Der Hof ist eigentlich das große Muster einer Haushaltung. Nach ihm bilden sich die großen Haushaltungen des Staates, nach diesen die kleineren und so herunter. Der Hof soll das klassische Privatleben im großen sein. Jede gebildete Frau und jede, sorgfältige Mutter sollte das Bild der Königin in ihrem und ihrer Töchter Wohnzimmer haben. Weiche schöne kräftige Erinnerung an das Urbild, das jede zu erreichen sich vorgesetzt hätte! Ähnlichkeit mit der Königin würde der Charakterzug der preußischen Frauen, ihr Nationalzug. Ein liebenswürdiges Wesen unter tausendfachen Gestalten! In unserer Zeit haben sich wahre Wunder der Transsubstantiation ereignet. Verwandelt sich nicht ein Hof in eine Familie, ein Thron in ein Heiligtum, eine königliche Vermählung in einen ewigen Herzensbund? So weit Novalis! Und wohl ist es für den Vaterlandsfreund eine heilige Freude, zu sehen, wie die Gepriesene allen Kreisen zur Wonne lebte und wirkte; dem geliebten Mann und ihren Kindern bereitete sie den reinen Himmel deutscher Häuslichkeit, der Ton am Hofe wurde durch ihr Beispiel aus einem französelnden wieder zu einem deutschen, aus einem überkünstelten ein natürlicher, aus einem leichtfertigen ein keuscher, sittlicher und endlich, alle Männer, alle Frauen sahen vor sich und über sich ein Ideal, dem sie verehrend nachstreben konnten. So mag denn unsere Königin neidlos anderen Frauen den Ruhm berühmter Frauen überlassen und sich begnügen mit dem Ruhm, daß auf sie unseres Dichters Worte von der Macht des Weibes sich anwenden lassen:

Mächtig seid Ihr, Ihr seid's durch der Gegenwart ruhigen Zauber. Was die stille nicht wirkt, wirket die rauschende nie! Kraft erwart ich vom Mann, des Gesetzes Würde behaupt er; Aber durch Anmuth allein herrschet und herrsche das Weib. Manche zwar haben geherrscht durch des Geistes Macht und der Thaten: Aber dann haben sie dich, höchste der Kronen, entbehrt. Wahre Königin ist nur des Weibes weibliche Schönheit: Wo sie sich zeige, sie herrscht, herrschet blos, weil sie sich zeigt.

Echtes Gold wird klar im Feuer. Nur allzu plötzlich und allzu traurig nahte die Zeit dieser Feuerprobe, in der das Gold als lauterstes, edelstes Metall sich bewährte, der Sänger aber rühmen durfte: Wir sahn Dich Anmuth endlos niederregnen; wie groß Du warst, das ahndeten wir nicht. Wozu an diesem Tage, der ein Dank- und Ehrentag der Preußen sein soll, ausführlich wiederholen, wie alles so hat kommen müssen, wie der leuchtende Bau des großen Friedrich so grauenhaft jäh zusammenstürzte und nur Trümmer übrig blieben, aus denen man kaum noch die entschwundene Pracht ahnen mochte! 30 schöne Jahre waren der Königin Luise rasch dahingegangen, und ihre Kraft reichte nicht aus, von den nun kommenden mehr als vier derselben zu ertragen, die mit ihren Ängsten und ihren Qualen die Heiterkeit jener früheren reichlich aufwogen. Gerade uns liegt es nahe, anstatt aller — zwei Schreckensbilder aus jener Zeit uns gegenwärtig zu halten, die aber alle Bitternisse in sich zusammendrängen, alles äußere Leid und alle innere Demütigung. Das eine zeigt uns die Königin auf ihrer Fahrt nach unserer weltentlegenen Stadt, die, so klein sonst unter den Städten Borussias, die einzige war, die Zuflucht bieten konnte. Ach, seit dem Monat Oktober, leitet die Gräfin Voss am 1. Januar 1807 die Tagebuchblätter des neuen Jahres ein, haben uns nur Unheil und Schrecknisse jeder Art verfolgt. Am folgenden Tage schon beginnt Memel seine Rolle in denselben zu spielen, da am nächsten die Königlichen Kinder dahin abreisen sollten. Und am 5. Januar wurde um 12 Uhr vom Königspaar selbst die Reise angetreten, auf der wir die zarte Frau, krank darniederliegend, allen Schrecken unseres östlichen Winters, allen Beschwerden unseres Nehrungsweges ausgesetzt sehen, im Herzen tragend die entsetzliche Sorge um des Vaterlandes Schicksal, den Schmerz um die ruhmlose Niederlage, die Scham über die ehrlose Haltung so vieler, die prahlend mit Preußens Vorzeit so wenig würdig solcher Vorzeit sich bewiesen hatten. Und als dann um die Mittagszeit des 8. Januar der matte Strahl der Wintersonne das Ziel der Schmerzensfahrt beleuchtete, sie dann mit schwachem, mühsamem Lächeln an den vor der Majestät des Unglücks verstummenden Bürgern vorüberfuhr und von einem Diener die Treppe am Landungsplatz vor dem bekannten Hause hinaufgetragen wurde, todesblaß von äußerem und innerem Weh — wie mochte mit grellem Schein der Gegensatz zwischen diesem Tage und jenen Jubeltagen des Jahres 1802 sich ihr aufthun, da man in derselben Stadt mit dem mächtigen Russenkaiser Freundschaft knüpfte, an der wie an einem Felsen jeder feindliche Angriff abprallen zu müssen schien! Auch der Sonnenstrahl vom 8. Januar war nur ein trügerisches Zeichen gewesen. Der Krieg nahm seinen verderblichen Fortgaug, und am 14. Juni ging auf Friedlands Feldern die letzte Hoffnung verloren, und die Freundin muß berichten: Die Königin war in Verzweiflung, der König ganz aufgelöst. Der Vielgeprüften aber stand die letzte schmähliche Erniedrigung bevor. Die Thorheit "feigherziger Ratgeber" ersann den Vorschlag, daß die vom Sieger unvergeßlich Gekränkte persönlich diesen um mildere Bedingungen flehen sollte. Als ob nicht der Blinde selbst hätte voraussehen können, was in dem Schreiben Napoleons an seine Gemahlin bestätigt wird: Ich bin ein Wachstuch, über welches dies alles nur weggleitet — und was in den Scheideworten der Abreisenden wiederklingt: Majestät, Sie haben mich grausam getäuscht! Welch lange, bange Fahrt jene zweite Reise war, die sie am 4. Juli, 8 Uhr früh, von unseren Thoren antrat, um in der fernen Nachbarstadt dem Manne als eine demütig bittende zu nahen, dem sie ewig fern hätte bleiben sollen, kann man aus Hufelands Äußerung entnehmen, daß er nie den Augenblick vergessen werde, wo der Befehl des Königs eingetroffen sei. Sie war außer sich, heißt es; unter tausend Thränen sagte sie: Das ist das schmerzhafteste Opfer, das ich meinem Volke bringe!

War schon der Tilsiter Friede das Äußerste, was Preußens Land und Königshaus erfahren sollte, wer vermöchte alle Kränkungen und Ärgernisse zu zählen, welche die nächsten Zeiten auch ihr noch brachten! Galt je für eine Königin, so galt ja für die Königin Luise dem niedergebeugten König gegenüber das Wort: Ich bin dein treues Weib, und meine Hälfte fordr' ich deines Grams. Aber genug mit dem angedeuteten! So namenlos das Mißgeschick war, es sollte aus der Thränensaat unmerklich, aber stetig wachsend eine Hoffnungszeit entkeimen, der ein Erntesegen nicht fehlte, auf daß erfüllet würde das Wort unseres Gebetes: Der Herr verstößt nicht ewiglich; sondern er betrübet wohl und erbarmet sich wieder nach seiner großen Güte. Denn er nicht von Herzen die Menschen plaget und betrübet, als wollte er eines Mannes Recht vor dem Allerhöchsten beugen lassen und eines Menschen Sache verkehren lassen gleich als sehe es der Herr nicht.

Von seiner Königin lernte das Volk, um seine Schmach sich härmen und um die Gegenwart zu trauern; im Hinblick auf seine Königin lernte es aber auch, zu bereuen die laue Gesinnung von ehedem, die Klage zu enden und, verbunden mit den Männern großen Herzens und umfassenden Geistes, auf die nicht am letzten sie den König hinwies, tatkräftig Hand anzulegen; es lernte nach einem hoffenden Mannesmut zu streben und für die Zukunft fest auf den Gott zu vertrauen, der Eisen wachsen ließ, weil er nicht Knechte wollte, den Gott, an den später auch das Kreuz gemahnte, das, nicht ohne tiefe Beziehung, an Ihrem Geburtstag mit Gott für König und Vaterland gestiftet wurde. Nachdem dann 1810 ein früher Tod grausam die Königsrose geknickt, und zu der Verklärung, von der geliebte Tote uns umleuchtet erscheinen, sich der Volksglaube gesellte, daß das gebrochene Lebensglück die Herrliche habe töten helfen, da wuchs immer mächtiger eine wilde Erbitterung gegen diejenigen groß, denen die Schuld an allem Unheil beigemessen wurde, in und mit der Trauer um die Verblichene erzeugte sich jene Stimmung der Freiheitskriege, die zur Werdezeit für deutschen Vaterlandssinn den Anfang bildete, und die in den todesmutigen Sturmliedern des Sängers von Leyer und Schwert den getreuen Ausdruck gefunden hat:

Und wie einst, alle Kräfte zu beleben,
Ein Heilgenbild, für den gerechten Krieg
Dem Heeresbanner schützend zugegeben
Als Oriflamme, in die Lüfte stieg:
So soll Dein Bild auf unsern Fahnen schweben
Und soll uns leuchten durch die Nacht zum Sieg
Luise sei der Schutzgeist deutscher Sache,
Luise sei das Losungswort zur Rache!

Noch vertrauter klingt uns des Sängers Saitenspiel, wenn er Sie nennt: Den guten Engel für die gute Sache. Ja, ein guter Engel ist Sie in der That dem Preußenvolke worden, durch Sie vor allem ist zwischen Volk und Fürstenhaus ein Bündnis geknüpft, das "fest gehärtet in des Feuers Glut bestehen wird in allen Schicksalsproben." Wo immer es in seiner Geschichte Höhepunkte erlebte, hat es darum die holdselige Gestalt dieser Verklärten nicht missen wollen; ein Zeichen dieser Treugesinnung war es, daß auch bei der letzten entscheidenden Abrechnung mit dem altbösen Feind Sie als die Schutz- und Segensgöttin Ihres Sohnes und seines Heeres verherrlicht wurde. Kein schöneres, siegverheißenderes Bild mochte man sich denken, als den Sohn, wandelnd am 19. Juli, am 60sten Todestage, zu dem tannenumdunkelten Grabesheiligtum in Charlottenburg und von ihm für schweres Werk mit sich nehmend der Mutter Segen.

Es ist ein wertvoll Ding um geschichtliche Erinnerungen. Der Ort, um den sie sich ranken, erlangt durch sie Unsterblichkeit und bildet für seine Bewohner den Grund berechtigten Stolzes. Denn durch sie wird der geliebte Name über die von der Natur ihm verliehene Bedeutung emporgetragen, auf einen weithin sichtbaren Platz erhöht und aller Welt vertraut. Mögen selbst die Ereignisse schmerzlicher Art sein, sie bieten der Jugend eine lebendige Anknüpfung an die Vergangenheit des Vaterlandes, so daß sie gleichsam durch die Dinge unmittelbar erzogen wird, nicht blos vom Augenblicksstandpunkte aus das Seiende zu betrachten, sondern sinnend die Fäden zu verfolgen, die so untrennbar enge das Einst und das Jetzt verbinden. Ist's nicht so bei jenem Festungsteil unseres Ortes, der nun verlassen, des letzten hochragenden Flaggenmastes beraubt wie ein Ueberrest der Vorzeit den einlaufenden Schiffen entgegentrauert? Gern weist der Bürger den fremden Besucher auf die Stätte hin, auf der sich der unheimliche Schluß eines trauervollen Ringens zweier Gewalten abspielte. Mit höherer Befriedigung noch erinnert er daran, wie jener Stadtteil einst im vielbesungenen Kriege des vorigen Jahrhunderts mit winziger Besatzuug unter heldenhaftem Führer einer ganzen russischen Heeresmacht von 20—30000 Mann und einer feindlichen Flotte mehrere Tage standhielt, ein Kampf nicht unwürdig der Heldenarmee von Rossbach und Leuthen. Ungleich vertrauter aber sind jedem Memeler Kinde die Stätten geworden, die von den fürstlichen Besuchern am Anfang unseres Jahrhunderts den Namen empfingen, die Häuser, die durch den Aufenthalt geliebter und für unsere Geschichte maßgebender Persönlichkeiten geweiht sind. Hat doch der damalige König selbst in seinem Abschiedsschreiben an Memels Bürger jene Zeit als unvergeßlich bezeichnet. Ein ehrwürdiger Bau, in dem kein Geringerer als der Begründer des neuen Reiches die derzeitigen Tage verlebte, und in dem wieder und wieder die gute Königin weilte, um Ihre Welt, die Welt Ihrer Kinder, zu sehen — er hat, laut sei's geklagt, der neuen Zeit und ihren Ansprüchen weichen müssen. Aber eine neue Denkstätte ist erstanden, die zwar in jene unvergeßlichen Tage nicht zurückreicht, doch bestimmt ist, durch ihre Benennung und ihre Weihe die nämliche Zeit zu verewigen und ihre Erinnerung als unveräußerlichen Besitz auf die Nachwelt fortzupflanzen, die Erinnerung insonderheit an Sie, die wir nun stolzer denn je die Unsre nennen dürfen.

Vergessen wir nur nimmer, daß man nicht umsonst einen großen Namen führt. Denn der Name ist ein Teil von uns, er fest mit uns, wir fest mit ihm verbunden, er heischt von uns dieselbe Achtung wie unser Selbst. So wird der heutige Tag dann lobenswert von uns begangen werden, wenn wir alle, groß und klein, von neuem uns der Pflichten bewußt werden, die wir vor einem Jahre bei der freudigen Begrüßuug jenes Ehrennamens auf uns genommen haben. Wir hoffen, daß die Zeit nicht ferne ist, da das von Deutschlands höchstem Herrscher dieser Feierstätte verheißene Bild der Königin von dieser Wand auf uns herabschauen, mit großen gütigen Augen fragend und mahnend auf uns herniederstrahlen wird. Allein Ihre Worte reden schon jetzt Ihre Sprache zu unsern Herzen, Ihr Geist will schon jetzt in diesem Hause walten, über das als Namenskönigin Sie segnend Ihre Hände breitet, er soll allzeit in uns wirken und lebendig sein. Als das Ideal dessen, was Sie sein sollte und sein wollte, schwebt Sie hoch über unserm Volke in unvergänglicher und hehrer Schönheit. Wohlan, Sie will auch uns den Weg zeigen, in unserm ganzen Leben nach der Höhe zu streben, nach hohen Zielen uns zu strecken; es sei auch unser Losungswort: Excelsior! Dann künden nicht umsonst jene drei ernsten, vielsagenden Worte über unserm Eingangsthor: Königliches Luisen-Gymnasium — dieses Hauses Bestimmung an. Erweisen wir, daß in Wahrheit wir Angehörige eines Gymnasiums sind, das will besagen, einer Übungs- und Ringstätte, wo in ausharrendem Wetteifer alle Sehnen und Muskeln geübt werden, um im Kampfspiel des Erdenlebens dem höchsten Preise nachzutrachten. Einem Luisengymnasium ferner haben wir uns angelobt, auf daß wir immerdar würdig sein wollen dieser Würdigsten Ihres Geschlechts: Rege zum Lernen nicht bloß, sondern rege auch zum Ringen nach sittlicher Verbesserung, daheim wie draußen, voll empfänglicher Begeisterung für die Wunder Gottes und die Schöpfungen der Gotteskraft im Menschengeist, voll Ehrfurcht vor dem, was andern heilig ist, glühend für unseres Vaterlandes unausgesungene Herrlichkeit und Ehre. Dann wird auch das dritte Wort, in tieferer Bedeutung gefaßt, nicht ohne Grund über unserm Eingang leuchten; denn Königlicheres kann für Schüler, ja kann für Männer nichts gedacht werden, als im Ernst Luisens Schüler gewesen zn sein, Luisens Schüler fürderhin zu bleiben!

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