Schulgeschichte des Luisen-Gymnasium Memel im ersten Kriegsjahr 1914

Enthält auch eine Tafel der Gefallenen im ersten Kriegsjahr zum Gedenken an ehemalige Schüler und Lehrer

Das Schuljahr begann Donnerstag, den 2. April 1914, und wird Mittwoch, am 31. März 1915, geschlossen.

Durch Erlaß des Herrn Ministers der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten vom 21. April 1914 (U II Nro. 5625) wurde die mit dem Luisen-Gymnasium verbundene Realanstalt als Realschule im Sinne der Lehrpläne vom 29. Mai 1901 anerkannt und der der neuen Anstalt verliehenen Berechtigung rückwirkende Geltung für die Ostern 1914 abgehaltene Schlußprtifung beigelegt.

Zum 1. April 1914 wurde der anstellungsfähige Kandidat Herr Walther Luckenbach der Königl. Herzog-Albrechtschule in Rastenburg zur lehramtlichen Aushilfe überwiesen, nachdem er 1,5 Jahre lang unserem Kollegium angehört hatte. Für die treuen Dienste, die er der An¬ stalt in dieser Zeit geleistet hat, spreche ich ihm den herzlichsten Dank aus. Zur unentgeltlichen Beschäftigung wurde Ostern 1914 dem hiesigen Gymnasium der anstellungsfähige Kandidat Herr Dr. Bruno Nick und zur Ableistung des Probejahres der Kandidat Herr Walther Koschinski überwiesen. — Mit dem Beginne des Sommerhalbjahres übernahm Herr Oberlehrer Werner Schmidt, nachdem er zwei Jahre lang beurlaubt gewesen war, zu unserer Freude von schwerer Krankheit völlig genesen, wiederum seinen Unterricht. Herr wissenschaftlicher Hilfslehrer Franz Scharffetter war auch in diesem Jahre zu einer militärischen Übung einberufen und wurde vom 5. bis Ende Juni 1914 durch den Seminarkandidaten Herrn Wilhelm Peltz vertreten. Für seine eifrige Pflichterfüllung danke ich Herrn Peltz aufrichtig. Dem Oberlehrer Herrn Dr. Jakob Regehr wurde am 7. Juli 1914 der Charakter als Professor und am 12. August der Rang der Räte 4. Klasse verliehen.

Der Gesundheitszustand war für Lehrer und Schüler im vergangenen Schuljahre im ganzen zufriedenstellend. Herr Oberlehrer Schwarz wurde mehrmals als Schöffe einberufen, Herr Oberlehrer Dr. Rundström war zu einer kurzen Sitzung als Geschworener ausgelost.

Der allgemeine Schulausflug wurde am 10. Juni unternommen. Die Primaner und Untersekundaner fuhren unter der Leitung ihrer Ordinarien auf einem besonderen Dampfer, den wie in den früheren Jahren, Herr Kaufmann Ancker in Ruß zur Verfügung gestellt hatte, nach Perwelk und marschierten nach Nidden auf der Kurischen Nehrung, setzten nach Ruß über und wanderten nach Heydekrug, von wo sie die Eisenbahn zur Rückfahrt benutzten: die übrigen Klassen nahmen Pöszeiten, Dt. Crottingen oder Schwarzort, die jüngeren Schüler Gollaten, Schemen oder Tauerlauken zum Endziel. Herrn Kaufmann Ancker danke ich auch an dieser Stelle aufs verbindlichste für seine Liebenswürdigkeit, die er stets der Anstalt gegenüber bewiesen hat.

Wegen zu großer Hitze fiel der Unterricht an zwei Tagen, am 22. und 23. Juni nach der 4. Stunde aus.

Der regelmäßige Gang des Unterrichts erfuhr infolge des plötzlich hereingebrochenen Krieges erhebliche Störungen, obgleich die Stadt Memel selbst durch Gottes Gnade von feindlichen Einfällen trotz der Nähe der Grenze verschont blieb. Am 1. August war von Seiner Majestät dem Kaiser die Mobilmachung des gesamten Kriegsheeres befohlen, und am 2. August verließen bereits die Mitglieder des Lehrerkollegiums, die dem Heere im Reserve- oder Landwehrverhältnis angehörten, unseren Ort, um sich zu ihren Regimentern zu begeben. Als wir am 4. August den Unterricht nach den Sommerferien begannen, fehlten 6 Lehrer, von denen 5 vollbeschäftigt waren, und bald darnach wurden noch 3, die landsturmpflichtig waren, eingezogen. Von den zuerst Einberufenen wurde nur einer als dienstuntauglich entlassen (Herr Oberlehrer Schmidt), alle anderen sind während der ganzen Kriegszeit im Heere geblieben und haben zum größten Teil an den Kämpfen im Osten oder im Westen teilgenommen. Es sind dies die Herren

  1. Professor Dr. Jakob Regehr,
  2. Oberlehrer Franz Orlowski,
  3. Oberlehrer Oskar Klavon,
  4. Oberlehrer Dr. Erich Rundström,
  5. Oberlehrer Michael Hommer,
  6. Wissenschaftlicher Hilfslehrer Franz Scharffetter,
  7. Wissenschaftlicher Hilfslehrer Dr. Richard Friebe,
  8. Probekandidat Walther Koschinski.

Herr Scharffetter, der als Vizefeldwebel eintrat, wurde am 1. November zum Leutnant der Reserve befördert. Das eiserne Kreuz erhielten am 27. November Herr Dr. Friebe, kurz vor Weihnachten Herr Scharffetter.

Trotz großer Schwierigkeiten ist es gelungen, während der ganzen Kriegszeit den Unterrichtsbetrieb regelmäßig aufrecht zu erhalten. Am schwersten war dies im August, da wir in dem ganzen ersten Kriegsmonat auf uns allein angewiesen waren. Eine wesentliche Hilfe leistete uns Herr Kandidat d. h. L. Willy Grundmann, ein früherer Schüler unserer Anstalt, der zufällig hier bei seinen Eltern weilte und sofort bis zu seiner eigenen Einberufung zum Heere für die ersten Tage die Vertretung des Herrn Scharffetter freiwillig übernahm, besonders aber der frühere Oberlehrer des Luisen-Gymnasiums, seit Ostern 1911 hier im Ruhestande lebende Herr Professor Paul Salkowski, der, von echtem Patriotismus beseelt, ohne jede Entschädigung ein halbes Jahr lang seine Kraft uns zur Verfügung stellte. Endlich übernahm auch der unentgeltlich beschäftigte Kandidat Herr Dr. Bruno Nick sogleich 24 Stunden wöchentlich und mehr, und alle Amts¬ genossen halfen freudig und willig mit, so daß kaum eine Stunde hat ausfallen müssen. Ich kann meinen Herren Kollegen nicht genug danken für ihren frohen Arbeitsmut und ihre wahre Vaterlandsliebe, die sie in dieser schweren Zeit durch treueste Pflichterfüllung bewiesen. Herrn Professor Salkowski, meinem eigenen hochverehrten Lehrer, spreche ich ebenso den innigsten Dank für seine große Opferwilligkeit aus, und ich danke auch Herrn Grundmann von ganzem Herzen.

Im September wurden uns zur lehramtlichen Aushilfe die anstellungsfähigen Kandidaten Herren Dr. Hans Espe, Wilhelm Meinekat und Kurt Ulonska überwiesen, von denen der letzte schon früher ein halbes Jahr hindurch bei uns tätig gewesen war, im November der anstellungstähige Kandidat Herr Ernst Lenz. Herr Dr. Espe mußte uns aber wegen Kränklichkeit schon zu Weihnachten wieder verlassen.

Von den Schülern fehlten nach den Sommerferien beim Beginne des Unterrichts 62; außer den 24 Kriegsteilnehmern verließen bis zum Ende des Kalenderjahres 17 Schüler die An¬ stalt (also im ganzen 41), während je 4 in VI und in die erste Vorschulklasse neu aufgenommen wurden. Als Gastschüler besuchte der Untersekundaner Alfred Pipirs den Unterricht seiner Klasse während der Besetzung Tilsits durch die Russen.

Gleich in den ersten Tagen nach den Ferien wurden die Notprüfungen und -versetzungen derjenigen Primaner und Sekundaner vorgenommen, die nach den Bestimmungen des Mobilmachungsbefehls gestellungspflichtig waren oder freiwillig ins Heer eintraten, und zwar die Reifeprüfung am 7. August, Schlußprüfungen am 8. August und 7. September. — Abgesehen von denjenigen, die später als dienstuntauglich entlassen wurden, haben folgende 24 Schüler des Königlichen Luisen-Gymnasiums am Feldzuge teilgenommen:

a. die Oberprimaner:

1. Salomon Burstein,
2. Albrecht Luther,
3. Hermann Mertens,
4. Johannes Schulz;

b. die Unterprimaner:

5. Johannes Kurzinna,
6. Günter Mattern,
7. Karl Ogilvie,
8. Karl Redmer,
9. Werner Stephani,
10. Franz Weiß;

c. die Obersekundaner:

11. Kurt Baußus,
12. Johann Bimschas,
13. Franz Gollasius,
14. Johannes Johow,
15. Richard Krüger,
16. Siegfried Sonntag;

d. die Untersekundaner:

17. Cornelius Ancker,
18. Botho Bieber,
19. Horst Gillweit,
20. Gerhard Ogilvie,
21. Siegmund Rosin,
22. Erich Siebert,
23. Theodor Siebert,
24. Hans Schlick.

Von den Schülern, die nach der Mobilmachung die Anstalt verließen, opferten im tapferen Kampfe für die Heimat ihr Leben:

Horst Gillweit, 18 1/2 Jahre alt, abgegangen aus U II r., bestand die Schlußprüfung als Soldat in Rostock, Sohn des Königl. Försters Herrn Gillweit in Grünwalde, gestorben am 13. Februar 1915 im Lazarett in Greifswald infolge schwerer Lungenerkrankung, die er sich im Felde in Polen zugezogen hatte.

Karl Redmer, 18 Jahre alt, abgegangen mit der Versetzung nach O I, Sohn des Pfarrers Herrn Redmer in Memel, gefallen Ende November 1914 in Polen.

Siegfried Sonntag, 17 3/4 Jahre alt, abgegangen mit der Versetzung nach U I, Sohn des Lehrers Herrn Sonntag in Sakuten, Kreis Memel, gefallen am 2. Februar 1915 am Lysapaß in den Karpathen.

Hier mögen auch noch die Namen der früheren Schüler des Gymnasiums folgen, die ins Kriegsheer eingetreten sind und deren Heldentod uns bekannt geworden ist:

Theodor Ancker, 19 3/4 Jahre alt, abgegangen Mich. 1912 bei der Versetzung nach O II, Sohn des Obervorstehers der Kaufmannschaft Herrn Ancker in Memel, gefallen am 27. Oktober im Osten.

Gerhard Dencks, Leutnant im Inf.-Reg. 147, Ritter des Eisernen Kreuzes, abge¬ gangen bei der Versetzung nach U III Ost. 1908, Sohn des Sanitätsrats Herrn Dr. Dencks in Memel, gefallen in Polen.

Kurt Fleischhack, Zahnarzt, 26 Jahre alt, abgegangen von U I Joh. 1907, Sohn des Rechnungsrats Herrn Fleischhack in Memel, gefallen am 21. Januar 1915 in Polen.

Kurt Grundmann, Reichsbankdiätar, 26 Jahre alt, abgegangen Ost. 1906 als Abiturient, Sohn des Apothekenbesitzers Herrn Grundmann in Memel, gefallen als Offizier¬ stellvertreter am 18. November in Polen.

Hans Kuhn, Geschäftsführer des hiesigen Land- und Ortskrankenkassenverbandes, 24 Jahre alt, abgegangen Ost. 1907 bei der Versetzung nach O II, Sohn des Lehrers Herrn Kuhn in Schmelz, gefallen am 13. November im Osten.

Kurt Milkuhn, Gerichtsaktuar, 22 Jahre alt, abgegangen bei der Versetzung nach O 11 Ost. 1909, Sohn des Gerichtssekretärs Herrn Milkuhn in Memel.

Ernst Müller, stud. theol., 19 Jahre alt, abgegangen Ost. 1913 als Abiturient, Sohn des Seminaroberlehrers Herrn Müller in Memel, gefallen am 10. November bei Ypern.

Friedrich Wilhelm Papendiek, Postassistent, 27 Jahre alt, abgegangen von O II Mai 1906, Sohn des Kaufmanns Herrn Papendiek in Memel.

Walter Pietsch, Landwirt, 20 Jahre alt, abgegangen Mich. 1912 bei der Versetzung nach U I, Sohn des Baumeisters Herrn Pietsch in Memel, gefallen am 27. Oktober im Ysergebiet.

Herbert Richter, Landwirt, 24 Jahre alt, abgegangen von O III Ost. 1907, Sohn des Bürgermeisters Herrn Richter in Bunzlau, gefallen am 7. Januar in Polen.

Ewald Rudat, 18 3/4 Jahre alt, abgegangen bei der Versetzung nach O II Ost. 1913, Sohn des Grundbesitzers Herrn Rudat in Saugen, gefallen am 14. Dezember im Osten.

Heinrich Sausmikat, stud. phil., 19 3/4 Jahre alt, abgegangen mit dem Reifezeugnis Ost. 1914, Sohn des in Memel verstorbenen Kaufmanns Herrn Sausmikat, gefallen Ende Dezember in Polen.

Erich Sobelat, 19 Jahre alt, abgegangen von U III November 1908, Sohn des Amtsgerichtssekretärs Herrn Sobelat in Memel, gefallen am 2. Januar 1915 in Polen.

Gerhard Thun, 22 Jahre alt, abgegangen Mich. 1907 aus O II, Sohn des Königl. Gefängnis-Oberinspektors Herrn Thun in Hannover, gefallen als Vizefeldwebel und Ritter des Eisernen Kreuzes.

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